Wusstest du, dass in alten Volkstraditionen zerbrochene Dinge nicht einfach weggeworfen wurden, insbesondere dann nicht, wenn sie von selbst zerbrachen? Eine Tasse oder ein Glas, das plötzlich zersprang. Ein Spiegel, der ohne sichtbaren Grund einen Sprung bekam . Oder auch ein Kochlöffel, der mitten im Gebrauch zerbrach. Solche Brüche galten früher als Botschaften, und sie wurden mit Achtsamkeit und Sorgfalt betrachtet.

Im slawischen und balkanischen Volksglauben hieß es, dass sich im Augenblick des Bruchs die Energie verschoben hatte. Etwas hatte das Haus verlassen, ging verloren oder etwas Neues war bereits eingetreten oder drängte bereits herein. Eine Tasse konnte zerbersten, bevor schlechte Nachrichten kamen. Ein Spiegel konnte zerspringen, wenn Krankheiten die noch im Verborgenen lagen, bereits anklopften.

In der Roma- und baltischen Magie war man sich sicher, dass solche Brüche kein Zufall waren. Sie dienten als Schutz. Denn das Objekt selbst nahm den Bruch, die Verletzung auf sich, damit man selbst unversehrt blieb.

Aus diesem Grund wurden zerbrochene Dinge nicht einfach achtlos entsorgt. Manchmal wickelte man sie in ein rotes Tuch und legte sie drei Nächte hinaus bevor man sie writer entsorgte, oder man vergrub sie fernab vom Zuhause, damit das, was sie aufgenommen hatten, nicht zurückkehren konnte. Andere zerbrochene Gegenstände wiederum ließ man bewusst im Haus, um sie zu Hütern der Schwelle zu machen. Denn eine gesprungene Schale, oder ein verkohlter Löffel, wurden so zu stillen Wächtern, die unauffällig über das Zuhause wachten.

Denn in der Sprache der Magie bedeutet „zerbrochen“ nicht „wertlos“. Zerbrochen bedeutet in diesem Zusammenhang; „Ich habe gedient. Ich habe getragen. Ich habe geschützt.“

Wenn wir die Dinge also oft zu schnell entsorgen, übersehen wir vielleicht die stille Kraft, die uns vor etwas anderem bewahrt hat. Denn oft sind es gerade die Risse und Brüche, die uns die tiefste Wahrheit lehren können, nämlich dass Schutz nicht immer sichtbar ist. Dass Opfer oft in der Stille geschehen. Und dass selbst noch in kleinen Fragmenten die volle Kraft der Magie wohnen kann.

© Maria Solva Roithinger

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